Schuldspruch gegen R. Kelly: Das Ende des R&B-Superstars (2024)

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Schuldspruch gegen R. Kelly: Das Ende des R&B-Superstars (1)

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Zwei Jahrzehnte lang hat sie sich aus Angst versteckt. Selbst jetzt, da ihr Peiniger hinter Gittern bleiben wird, wagt sie sich nur unter einem Pseudonym an die Öffentlichkeit. »Endlich«, erklärt die Frau, die sich Sonya nennt, »kann ich mein Leben in Freiheit leben und mit dem Heilungsprozess beginnen.«

Sonya lässt diese Worte von Gloria Allred verlesen, ihrem Rechtsbeistand. In pinkem Jackett und mit Perlenkette steht die Staranwältin vor dem US-Bezirksgericht in Brooklyn. »Der Gerechtigkeit«, sagt sie, »ist Genüge getan worden.«

Drinnen haben die Geschworenen gerade den R&B-Sänger R. Kelly wegen sexuellen Missbrauchs schuldig gesprochen. Es war der erste #MeToo-Prozess, bei dem die Involvierten afroamerikanisch waren. Allreds Mandantin Sonya gehörte dazu, sie war Anfang 20, als sich Kelly 2003 an ihr verging. Andere – sowie einer von zwei Jungen – waren sogar minderjährig.

»Ich bin seit 47 Jahren als Anwältin tätig«, sagt Allred, die auch in den Verfahren gegen den früheren Produzenten Harvey Weinstein und den TV-Schauspieler Bill Cosby Betroffene vertrat. »Von all den Sexualstraftätern, die ich verfolgt habe, ist Mr. Kelly der schlimmste.«

Schuldspruch gegen R. Kelly: Das Ende des R&B-Superstars (2)

Die sieben Männer und fünf Frauen der Jury denken offenbar ähnlich. Schon nach rund neun Stunden Beratung hinter verschlossenen Türen, relativ wenig Zeit für einen juristisch so komplexen Fall, kehren sie in den fensterlosen Gerichtssaal im vierten Stock zurück. Dort bestätigen sie alle Anklagepunkte gegen den gestürzten Superstar, darunter auch Entführung und Zwangsarbeit, mit einem unmissverständlichen Urteilsspruch: schuldig – neunmal hintereinander.

Kelly, 54, starrt ins Leere und verzieht keine Miene, nur sein Unterkiefer scheint leicht hin und her zu mahlen unter der schwarzen Coronamaske. Ihm droht nun lebenslange Haft. Bis zur formellen Strafmaßverkündung, die hier erst im Mai 2022 stattfinden soll, wird er ohnehin im Gefängnis bleiben müssen, da ihm in Chicago als Nächstes ein weiterer, ähnlicher Prozess bevorsteht.

Der allmächtige, lange unantastbare R. Kelly

Das Brooklyner Verfahren ist zugleich das erste der #MeToo-Ära, das unbequeme Fragen für die US-Musikindustrie aufwirft. Ein Vierteljahrhundert war Kelly von diesbezüglichen Gerüchten verfolgt, doch seiner Karriere, die 1996 mit dem Megahit »I Believe I Can Fly« abgehoben hatte, schadete das lange nicht. Selbst als die Vorwürfe immer konkreter wurden, ob durch investigative Berichte oder die aufsehenerregende TV-Dokumentation »Surviving R. Kelly«. 2008 stand Kelly in Chicago schon mal vor Gericht, wurde aber freigesprochen, da das mutmaßliche Opfer Angst bekam.

Das Glück hat er diesmal nicht. Neun Frauen und zwei Männer sagten während der sechswöchigen Verhandlung gegen ihn aus, außerdem 34 weitere Zeugen, darunter viele frühere Mitarbeiter. Von 1994 bis 2018 hatten die nicht nur von den Qualen der jungen Frauen in den Katakomben seines Studio-Komplexes gewusst. Vielmehr hatten sie diese Qualen ermöglicht, gefördert, gedeckt – eine kriminelle Bande, so die Justiz, die den Strafbestand des organisierten Verbrechens erfüllte und an deren Spitze ein allmächtiger, lange unantastbarer R. Kelly stand.

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Das wohl schwerwiegendste Belastungsmaterial aber kam von einer Toten, der Sängerin Aaliyah, die 2001 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam. Kelly hatte Aaliyah »entdeckt«, sie ebenfalls missbraucht und 1994 geheiratet. Aaliyah war da 15 Jahre alt. Kelly ließ einen Behördenbeamten bestechen – für einen gefälschten Ausweis, auf dem ihr Alter als 18 Jahre angegeben war.

Die Geschworenen glaubten den Opfern

Die Anklage brauchte drei Tage, um die ganzen Beweise in ihrem Schlussplädoyer zusammenzufassen. Die Aussagen und Indizien – darunter Videos, die Kelly von seinen eigenen Sexualstraftaten gemacht hatte – waren teils so schockierend, dass die Geschworenen sie nur mit Kopfhörern verfolgten und nicht nur die US-Journalisten im Gericht sich schwertaten, sie anschließend objektiv zu beschreiben.

Die meisten seiner Opfer waren Fans, die Kelly bei Konzerten oder anderen PR-Veranstaltungen traf. Andere erhofften sich über ihn den Einstieg ins Musikgeschäft. Was dann passierte, war bisher zumindest nicht vor einem Gericht im ganzen Ausmaß bekannt geworden.

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»Was in der Welt des Angeklagten geschah, blieb jahrelang auch in der Welt des Angeklagten verborgen«, sagte Staatsanwältin Elizabeth Geddes. »Doch nicht mehr länger.«

Denn erstmals wagten sich Kellys Opfer hier in Brooklyn in den Zeugenstand – und die Geschworenen glaubten ihnen.

Schuldspruch gegen R. Kelly: Das Ende des R&B-Superstars (10)

Die Geschworenen glaubten Jerhonda Pace, die am ersten Tag aussagte, sie sei 16 und noch Jungfrau gewesen, als Kelly begonnen habe, sie sexuell zu missbrauchen und körperlich zu misshandeln.

Die Geschworenen glaubten Sonya, die beschrieb, wie Kelly sie 2003, als sie Praktikantin eines Radiosenders war, unter Drogen gesetzt, tagelang in ein dunkles Zimmer gesperrt und missbraucht habe.

Als »Genie« dürfe er tun, was er wolle

Die Geschworenen glaubten einer Frau namens Stephanie, die aussagte, Kelly habe sie mit 17 beim Sex gefilmt. Schon 1999 habe er mit seiner Vorliebe für Minderjährige geprahlt: Als »Genie« dürfe er tun, was er wolle.

Die Geschworenen glaubten zwei Männern namens Louis und Alex, die aussagten, Kelly habe sie gezwungen, mit ihm und anderen Sex zu haben. Louis war 17, Alex 20.

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Untermauert wurde das, gelegentlich widerwillig, von Assistenten, Bodyguards, Chauffeuren, Tontechnikern, Privatärzten und anderen Ex-Mitarbeitern, die Kelly nach Darstellung der Anklage halfen, »Mädchen, Jungen und junge Frauen für seine sexuelle Befriedigung auszusuchen, heranzuziehen und auszunutzen«. Kelly habe sich sowohl seine Opfer wie seine Angestellten durch »Manipulation, Bedrohungen und körperliche Misshandlung« gefügig gemacht.

Viele der Fälle wären normalerweise verjährt. Doch die Staatsanwaltschaft verknüpfte sie zum zusätzlichen Anklagepunkt der organisierten Kriminalität, der sonst meist nur gegen Drogenkartelle oder die Mafia Anwendung finden und es ermöglicht, auch ältere Taten zu berücksichtigen. Da Kelly seine Opfer oft in Privatjets und Tourbussen über die Grenzen von US-Bundesstaaten beförderte, half zudem das Heimatschutzministerium bei den Ermittlungen. So war diese Anklage am Ende viel stärker als die letzte von 2008.

»Über Missbrauch zu reden, ist nicht einfach«

Die Verteidigung hatte dem wenig entgegenzusetzen. Sie rief nur fünf Entlastungszeugen, die sich oft widersprachen. Kelly selbst sagte nicht aus; stattdessen verglich ihn Anwalt Deveraux Cannick in seinem Schlussplädoyer mit der Bürgerrechtsikone Martin Luther King.

»Über Missbrauch zu reden, ist nicht einfach«, reagierte Jerhonda Pace, die erste Zeugin, nach dem Urteil auf Instagram. »Doch ich habe es getan. Meine Aussage schuf einen Domino-Effekt.«

»Möge dies eine Botschaft sein an andere Prominente, die ihren Ruhm ausnutzen, um ihre Fans und andere zu missbrauchen«, sagt Allred. »Die Frage ist nicht, ob das Gesetz euch einholt, die Frage ist wann.«

Freilich ist dieser Schuldspruch mitnichten die Regel. So wurde das Urteil gegen Bill Cosby wegen sexueller Nötigung im Juni wegen eines Verfahrensfehlers aufgehoben und der 84-Jährige freigelassen. Er arbeitet angeblich schon wieder an neuen TV-Projekten.

Auch R. Kellys Schuld wird von manchen Fans weiter bestritten. Dutzende versammelten sich während des Prozesses jeden Tag im Park gegenüber dem Gericht und spielten laut seine Hits ab. »Wir geben nicht auf«, brüllt am Montag eine Frau mit Afro und Kelly-T-Shirt weinend in ein Megafon. »Befreit Robert Sylvester Kelly!«

Der Song, der da gerade aus den Boxen schallt, heißt »Shut Up«.

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